LEKKER IN KASAN


Irgendwann im Sommer des Jahres 2004 wurde es uns offiziell bestätigt. Drüber geredet wurde ja schon länger. Aber nie so richtig. Immer nur ganz vage. Trotzdem waren wir drei natürlich absolut scharf drauf! Und dann kam die Zusage: Lekker fliegt nach Russland. In eine Stadt namens Kasan. Um dort ein Konzert zu spielen.

Akki war derjenige, dem wir das zuverdanken hatten.

Er kennt Lekker noch von "damals", als es noch einen Plattenvertrag gab und Christian noch nicht in Australien war. Akki kannte jemanden, der jemanden kannte und der kannte wiederum wen. Man kennt das ja...

Und somit waren wir also diejenigen, die im Rahmen des "Deutsch - Russischen Kulturaustausches" nach Kasan reisen sollten um dort zu rocken.

Alles war sehr chaotisch. Keiner wusste so wirklich genau Bescheid. Keiner hatte einen wirklichen Plan. Wann sollten wir losfliegen? September war ja klar, aber wann genau? Wie lange sollten wir in Kasan bleiben? Wo genau spielen wir da? Auf einem Festival oder in einem Club? Was für Bands werden noch dabei sein? Was ist mit dem Equipment? Und was herrscht in Kasan überhaupt für ein Wetter? Ewiger Winter oder Tropenstürme mit faustgroßen Hagelkörnern?

Viele, viele Fragen. Die Antworten sollten noch kommen. Später.

Für Jan und mich hieß es erstmal: Reisepässe beantragen. Micha hatte schon einen. Micha ist ja auch Cosmopolit. Ein Weltenbummler gar. Und sein Englisch ist ein Traum. Aber dazu später mehr.

Reisepässe beantragen ist doof. Vor allem, wenn man ganz schnell einen braucht, um sein Visum beantragen zu können. Ein vorläufiger Reisepass ist dann von Nöten. Den kann man allerdings nur gemeinsam mit dem "Richtigen" beantragen. Und das kostet dann zusammen stolze 52,- €!! Gott verfluche also bitte das Einwohnermeldeamt. Die sollen da alle einen eingewachsenen Fingernagel kriegen der dann bitte auch ganz fies eitert. Danke.

Der September rückte näher und die Informationen wurden dichter.

Es sollte am Donnerstag den 09.09. losgehen. Ab Hannover. Doch nicht ab Frankfurt wie anfangs vermutet. Rückflug am Montag den 13.09.. Wir spielen auf einem Open Air-Festival, auf dem angeblich 30.000 Leute erwartet werden. Mit uns wird eine Band aus Karlsruhe fliegen. Oder aus Nürnberg. Oder aus Tralien. Ich weiß es nicht. Schein 23 heißen die. Extrem blöder Name finde ich. Aber das geht mich ja nix an. Equipment wird vor Ort gestellt. Micha und ich müssen nur unsere Klampfen mitnehmen. Jan bloß seine Sticks. Das ist praktisch. Wenn auch riskant. Schließlich hatte ich doch arge Befürchtungen, daß mein geliebter Bass evtl. während des Transports schaden nimmt oder gar abhanden kommt. Also: Bass versichern!! Gesagt, getan. Die Allianz macht sowas. Das aber nur als Tipp am Rande...

Inzwischen hatten wir auch rausbekommen, wo Kasan überhaupt liegt!! Von Braunschweig aus würde man mit dem Auto quasi einfach nur in den Osten fahren. Durch Moskau durch und noch weiter geradeaus. Nach 3017 km wäre man da. Kasan liegt direkt auf der Verlängerung der Achse "Braunschweig - Moskau". Mitten im Herzen Russlands. An der Wolga.

Über mögliche Tropenstürme mit kürbisgroßen Hagelkörnern mussten wir uns übrigens auch kein Sorgen machen. Ebenso wenig um einen möglichen ewigen Winter mit Pinguinen auf den Straßen. Die goldene Mitte sollte es sein. So wie hier also. So viel dazu.

Eine weitere Frage war natürlich, was wir denn überhaupt den Rest der Zeit (wenn wir also nicht gerade auf der Bühne stehen) in Kasan machen?! Darauf gab es keine Antwort. Lediglich Vermutungen. Aber gar nix Handfestes. Das war uns auch egal. Wir drei waren einfach nur völlig aufgeregt und freuten uns gewaltig auf diese außergewöhnliche Reise.

Und dann ging es auch schon los.

Donnerstag, 09.09.04 / 1. Tag - Die Anreise

Gegen 17 Uhr trafen wir mit unserem Gepäck in Peine ein. Da wohnt der Akki. Der kam schließlich auch mit. Wir stiegen in sein Auto um und ließen uns von seiner Freundin zum Flughafen nach Hannover bringen. Ein gewisser Olli war auch dabei. Er kam mit nach Kasan. Jan, Micha und ich wissen bis heute nicht, was der Typ da sollte oder wollte, und warum der mit uns mitflog. Aber das ist nun auch erstmal egal.

Um 19.10 Uhr sollte unsere Düse nach Frankfurt gehen. Wir erreichten ohne erwähnenswerte Zwischenfälle den Hannoveraner Flughafen und checkten ein. Micha und ich gaben unsere Klampfen beim "Sperrgut" ab und drückten uns gegenseitig die Daumen, daß die Geräte auch gesund und munter in Kasan ankommen mögen.

Kurz nach dem Einchecken und kurz vor dem Boarding klingelte Akkis Handy. Das ist ja an sich nix schlimmes. Eigentlich ist es sogar was ganz normales. Handies klingeln nunmal. Was sollen sie auch sonst machen? In diesem Fall war der Grund des Klingelns aber nicht der Schönste. Einer von den Schein 23-Leuten war am Telefon und sagte, daß sie nicht mitkommen würden, da der Gitarrist angeblich im Krankenhaus läge. Akki war natürlich reichlich angefressen darüber, daß denen das so kurz vor unserem Treffen am Frankfurter Flughafen einfällt. Irgendwas schräges muss bei denen abgegangen sein. Die Story mit dem Krankenhaus klang jedenfalls sehr ausgedacht, sagt Akki. Nix genaues weiß man nicht. Jedenfalls waren die Jungs definitv raus aus der Nummer. Wir sollten also alleine nach Kasan fliegen. Sehr miese Aktion von den Schein 23- Leuten. Andere Bands hätten ihren linken Arm für eine solche Reise gegeben. Wie wir zum Bespiel. Den Schein 23- Leuten sollen die Hände abfaulen!!

 

Wir gingen also an Bord und flogen den kurzen Hoppser nach Frankfurt runter.

Micha war sehr tapfer!! Der gute Mann findet fliegen nämlich eigentlich gar nicht so dolle lustig und war doch ein wenig fertig mit den Nerven, als die Maschine in Hannover zum Start ansetzte. Aber wie gesagt: unser Michi war sehr cool und meisterte sämtliche Flüge sehr souverän.

 

 

 

In Frankfurt hatten wir fast 2 Stunden Aufenthalt. Vor dem Lufthansa-Schalter für den Flug nach Kasan trafen wir dann auf die A-Jugend der Eintracht Braunschweig Fußballer, die im Rahmen dieses Kulturaustausches gegen die Kasaner Jugendmannschaft antreten sollten. Die Jungs und ihr Trainer- und Beraterstab waren allesamt sehr nett und locker drauf. Es wurde also noch etwas mit den Jungs gequatscht und die Zeit bis zum erneuten einchecken überbrückt. Wir bekamen heraus, daß die Jungs das selbe Hotel hatten wie wir. Wir sollten also den gesamten Aufenthalt in Russland gemeinsam verbringen. Das muss nicht schlecht sein. Die Jungs waren schließlich echt nett.

Wenig später checkten wir dann ein und um 21.55 Uhr sollte Flug LH3210 nach Kasan starten. Wir konnten jedoch nicht direkt ins Flugzeug steigen, sondern mussten erst noch mit einem Linienbus zum Standort des Fliegers gebracht werden.

Ein kleiner, putziger Flieger war das. Ein Reisebus mit Flügeln quasi. Sehr süß.

Im Flugzeug war schnell klar: das wird ein lustiger Flug!! Schließlich war, abgesehen von uns und den Fußballern, das Flugzeug quasi leer.

Als wir (gemeinsam mit dem Flugzeug und der dazugehörigen Bordcrew) die Flughöhe erreicht hatten, verteilten wir uns auf die leeren Sitzreihen und machten es uns bequem. Das war super!! Die 6 Stunden Flug (inkl. kurzer Zwischenlandung in Samara) vergingen (und jetzt kommt das Mörder-Wortspiel) wie im Flug!!

Kurz vor dem Zwischenstop in Samara verteilte die Bordcrew die russischen Zollformulare. Das war ein großer Spaß!! Keiner wusste nämlich, wie diese doch sehr verwirrenden Formulare auszufüllen waren. Auch die Stewardessen konnten uns nicht wirklich weiterhelfen (waren aber sehr bemüht!). Die waren nämlich auch zum ersten mal auf dem Weg nach Russland und kannten sich mit dem Zollkram nicht aus. Naja, nachdem sie von lauter Fußballern und ein paar stumpfen Musikern mächtig genervt wurden, werden sie jetzt sicher recht gut wissen, wie die Formulare auszufüllen sind.

Wir landeten um 05.30 Uhr in Kasan (2 Stunden Zeitverschiebung) und waren reichlich müde. Der Flughafen war putzig und erinnerte wegen seiner Größe eher an einen Busbahnhof. Einen sehr kleinen Busbahnhof. Es gab hier genau ein "Gate" für genau ein Flugzeug. Da fragt man sich: was ist eigentlich das Gegenteil von "Größe"? Etwa "Kleine"? Denn in manchen Fällen (wie bei diesem Flughafen oder auch Michas Gehirn) ist das Wort "Größe" wirklich gänzlich unangebracht. Das aber nur am Rande.

Wir nahmen unser Gepäck in Empfang (es fehlte tatsächlich nichts!!) und gingen durch die Zollkontrolle. Hier erlebten wir dann, was keiner ahnen konnte: Der Zollbeamte interessierte sich einen feuchten Dreck für unsere Zollpapiere. Unsere Pässe und die Visa wurden zwar gründlichst untersucht und mit unzähligen krachenden Stempeln versehen, aber das war dann auch alles. Na toll. Hätte ich seine Sprache gesprochen, hätte ich dem Typen mal gewaltig die Meinung gesagt. Ignoranter Kerl!! Dabei habe ich noch extra schön geschrieben, damit er auch bitteschön alles problemlos lesen kann. Pah!! Und obwohl jeder weiß, daß man sich mit russischen Zollbeamten beim besten Willen nicht anlegen soll: ich hätte ihn mächtig aufgemischt... Nein, hätte ich nicht.

Wir packten schließlich unsere Sachen zusammen und wollten den Flughafen verlassen. Nichtsahnend gingen wir in Richtung Ausgang, als wir zwei Damen in traditioneller Russischer Kleidung entdeckten, die eine Art Kuchen in den Händen hielten und uns diesen anboten. Dazu sagten sie noch ein paar offenbar freundliche Worte. Verstanden haben wir leider nichts. Aber freundlich war es bestimmt. Vermutlich.

Bei diesen Damen handelte es sich tatsächlich um ein Empfangskomitee speziell für uns und die Fußballer. Wow!! Sowas hatten wir noch nie gehabt. Wenn man in Deutschland ein Konzert spielt, steht nie jemand mit traditioneller Kleidung und Kuchen bereit. In Russland schon!! Super!! Russland hatte schon ein paar dicke Steine in unseren Brettern.

Vor dem kleinen Flughäfchen stand ein Reisebus für uns bereit. Dort wartete auch Tilo auf uns. Er ist der erwähnte Bekannte (ehem. Klassenkamerad) von Akki, dem wir diese ganze Reise zu verdanken haben. Tilo entpuppte sich sofort als ein sehr angenehmer und außerordentlich netter Zeitgenosse.

Achtung, es folgt ein Satz zum mitdenken:

Er hieß aber nicht nur Tilo, sondern auch uns willkommen und wir begannen, uns sehr nett mit ihm zu unterhalten. Dabei wurden natürlich reichlich Zigaretten eingeatmet. Die Tatsache, daß man in Flugzeugen nicht mehr rauchen darf, macht echt keinen Spaß.

Am Bus stellte sich auch unser Dolmetscher vor. Er hieß Peter, war 23 Jahre alt und studierte Deutsch an der Kasaner Uni. Er sollte uns also durch Kasan manövrieren. Mein lieber Schwan. Wir hatten also tatsächlich einen eigenen Dolmetscher. Nur für uns. Sehr cool. Die Fußballer hatten sogar zwei davon. Waren ja auch knapp 30 Leute. Da wollten wir also nicht neidisch sein und auch auf einen Zweiten bestehen.

Nach ein paar Zigaretten war das Gepäck schließlich im Bus verstaut, wir stiegen allesamt ein und freuten uns auf das Hotel.

Bevor wir jedoch losfuhren stieg vorne plötzlich ein Mann in den Bus, schnappte sich das Mikro, stellte sich mal so nebenbei als deutscher Botschafter vor und wünschte uns einen angenehmen Aufenthalt. Wir staunten natürlich nicht schlecht. Da steht also sogar der deutsche Botschafter in aller Frühe auf, um morgens um 5.30 Uhr ein paar Musiker und ein paar Fußballer zu begrüßen. Jawoll. Das hat Stil!

Nun fuhren wir los. Wir ließen das Flughafengelände hinter uns und peilten Kasan an. Etwa 30 Minuten Fahrt lagen vor uns, da der Kasaner Flughafen ziemlich genau mitten auf einem Acker liegt. Es ging also durch die ländlich anmutenden Außenbezirke Kasans direkt in Richtung Innenstadt.

Kasan erwachte gerade zum Leben, wir taten das Gegenteil. Nicht wenige von uns waren schon eingenickt und bekamen von der Gegend nichts mit. Jan und ich gehörten zu den wenigen wachen Menschen im Bus und guckten die ganze Zeit aus dem Fenster. Das war hier schon was völlig anderes als in Deutschland. Halt alles sehr viel einfacher und improvisierter. Vielerorts waren noch die Reste des kommunistischen Russlands zu sehen. Andererseits aber auch viel von dem für uns gewöhnlichen "westlichen Standard", wenn man es so nennen möchte. Man merkte also, daß sich hier viel tat. Und alles war ganz schön aufregend.

 

 

Unser Hotel hieß Tartastan und lag direkt am Rande der Fußgängerzone an einer gewaltig großen Straßenkreuzung. Hier war es wirklich laut!! Aber das war uns nun vorerst alles egal. Wir wollten nur noch schnell ins Bett und endlich ein wenig schlafen. Schließlich hatten wir im Flugzeug erwartungs-gemäß kein Auge zugemacht sondern hatten die ganze Zeit miteinander geplaudert und mit der Zollerklärung gekämpft.

Im Hotel war es dann leider nicht möglich, einfach einen Zimmerschlüssel entgegen zu nehmen und aufs Zimmer zu verschwinden. Hier musste alles seinen korrekten Gang gehen. Für die Herausgabe jedes Zimmerschlüssels mussten die Damen am Empfang unendlich lange Zettel ausfüllen und tausend Fragen beantwortet bekommen. Es dauerte wirklich sehr lange.

Gegen 8.30 Uhr hatten wir dann schließlich doch alle unsere Schlüssel und konnten auf die Zimmer gehen. Jan und ich waren Zimmergenossen, Akki hatte ein Zimmer für sich alleine und Micha musste das Zimmer mit Olli teilen.

Die Zimmer waren lustig. Mehr kann man dazu nicht sagen. Auf dem modischen Stand einer Plattenbauwohnung der frühen 60er Jahre. Alles braun und beige. Bloß keine frischen, freundlichen Farben. Sehr trostlos. Aber egal. Die Betten waren prima und wir konnten endlich schlafen. Theoretisch.

Ich wollte noch schnell auf die Toilette gehen. Doch das war nicht ganz so einfach, denn leider habe ich das Ding erstmal kaputt machen müssen. Toll. Flori bewies sich mal wieder als Weltklasse-Florifant. Beim Spülen zog ich offenbar zu dolle an dem Knopf. Es machte einmal "Klonk" und ein schwarzes Gummiteil huschte durch die Schüssel in den Abfluss. Hurra. Das war der Schließmechanismus des Wasserkastens. Soll heißen: dieser konnte nun nicht mehr volllaufen. Das Wasser floss immer direkt wieder ab. Es rauschte also die ganze Zeit. Und das nicht leise. An Schlafen war nunmehr überhaupt nicht zu denken.

Wir sagten unserm Dolmetscher bescheid, der sollte wiederum dem Zimmermädchen bescheid sagen, daß wir eine kaputte Klospülung haben. Er tat, wie ihm geheißen und kam mit der Meldung zurück, daß der Haustechniker gleich kommen würde. Wir freuten uns darüber. Jan und ich legten uns also schonmal auf unsere Betten, bekamen sehr schwere Lider (nicht Lieder!) und warteten ab. Nach etwa 20 Minuten fragten wir uns dann langsam, was es denn in Russland wohl heißen mag, wenn jemand "gleich" sagt... und wir wurden etwas misstrauisch. Nach einigen weiteren Minuten kam der Haustechniker dann aber, reparierte flott die Spülung und zog wieder davon.

Nun konnten wir endlich schlafen.

Hallo Russland, da sind wir also!! Scheint echt schön hier zu sein.

Wir freuen uns auf Dich.

 

 

 

 

 

Freitag, 10.09.04 / 2. Tag - Die Stadtführung

Nach ein paar Stunden Schlaf mussten wir uns schon wieder aus den Betten erheben. Schließlich war für 13 Uhr Mittagessen angesagt und anschließend sollte für uns und die Fußballer eine Führung durch Kasan stattfinden. Ogottogott...

Ozzy Osbourne sagte mal "I fucking hate christmas". Ich sage "I fucking hate Stadtführungen". Blöde Scheisse. Wer zur Hölle interessiert sich ernsthaft für Stadtführungen? Alte Menschen vielleicht. Das mag durchaus sein. Bei denen liegt das aber auch daran, daß die sonst nix mehr zu lachen haben. Denen erzählt ja auch keiner mehr was. Da sind sie froh, wenn sie auf einer Stadtführung mal ein bißchen bequasselt werden. Außerdem können alte Leute besonders gut Interesse und Amusement heucheln.

Stadtführungen sind doch wirklich überall der selbe Mist. Ob man nun in Salzburg, in Wolfenbüttel, in Mailand oder eben in Kasan Gast ist. Stadtführungen sind immer unglaublich ermüdend, langweilig und wahnsinnig nervtötend.

Nach 10 Minuten hört kein Arsch mehr zu, nach 20 Minuten sind alle erschöpft und wollen sich lieber irgendwo hinsetzen, und nach weiteren drei Minuten ist es wie im Krieg: man beginnt zu hoffen, das es bald vorbei ist.

Unsere Stadtführung machte da selbstverständlich keine Ausnahme.

Wir wurden ein kleines Stück durch die (wirklich sehr schöne) Fußgängerzone geführt und bogen dann in Richtung Univiertel ab. Hier mussten wir uns natürlich auch irgendwelche beschissenen Statuen ansehen und uns anhören, was es mit dem hässlichen Kerl auf sich hat, der hier in Stein gemeißelt rumstand und dumm in die Gegend glotzte. Wahrscheinlich hat die Arschgeige damals irgendwas total tolles erfunden oder hat Kasan gegründet oder was-weiß-ich. Es interessiert mich nicht die Bohne!! Und wenn es mich doch interessieren würde, dann würde ich mir ein Buch über Statuen kaufen.

Warum müssen Touristen (oder ähnliche Menschengruppen) eigentlich immer Stadtführungen aufgebrummt bekommen? Und warum werden sie prinzipiell nicht gefragt, ob sie überhaupt einen Hauch von Interesse dafür haben? Kein Mensch braucht Stadtführungen. Weil Stadtführungen Scheisse sind. Oder will mir ernsthaft jemand erzählen, daß es Menschen gibt, die in das Poesiealbum ihrer Freunde als Hobby "Stadtführungen", und unter Berufswunsch "Stadtführer" eintragen?

Schließlich betraten wir das Grundstück einer Kirche. Du liebe Güte!! Jetzt müssen wir auch noch alle voll andächtig und staunend durch eine Kirche wandeln und uns über diese herrlichen Gemälde an den Wänden freuen. Was gibt es da eigentlich zu freuen und zu staunen? Gerade diese miesepetrigen Pinseleien in Kirchen sind doch nun wirklich überall die selben: Maria und Joseph, bekiffter Säugling, drei dämliche Könige und diverses Getier. Wer will das sehen?

Vor allem ist doch die Frage: warum muss man sich sowas angucken, wenn man für ein paar Tage in einer fremden Stadt zu besuch ist? Die meisten Leute gucken sich selbst in ihrer Heimatstadt niemals die Kirchen und Statuen genauer an... Zurecht!

Nach jahrelangem dämlichen Rumgestehe in der Kirche ging es weiter zum Kreml. Kreml? Kreml! Sowas gibts nicht nur in Moskau. Kreml ist nämlich sowas wie der Regierungssitz. Und da Kasan die Hauptstadt der Republik Tartastan ist, gibt es hier einen Kreml. Basta. Bevor wir jedoch das Gelände betraten, wurde uns erstmal noch erzählt, daß der Turm mal irgendwann durch irgendwas zerstört wurde, und er daher irgendwann wieder aufgebaut wurde bla bla bla. Ich rang mit meiner Fassung und hätte unserer hochengagierten Stadtführerin gerne gesagt, daß das keine Sau wissen will, und das sie den Rest der Führung doch bitte im Laufschritt durchführen sollte. Zeit ist Geld und uns dürstete nach einem Cappuccino.

Nun ging es schließlich doch auf das recht imposante Kremlgelände. Unsere Führerin setzte dem nervigen Gequassel die Krone auf, indem sie uns zum entsetzen aller Anwesenden auch noch zeigte, wo welches Amt sitzt. Unglaublich aber wahr: sie blieb vor irgendeiner Tür stehen, zeigte auf diese und erklärte, daß hier also das Amt XY sitzt. Dann erklärte sie uns noch das Wappen über der Tür. Himmel hilf!

Wäre sie im Verlaufe der Führung nicht so freundlich und herzlich gewesen, hätte ich ihr spätestens jetzt eine 1a Blutgrätsche verpasst. Aber ich bin ja gut erzogen. Zumindest glauben meine Eltern das.

Sonderlich lange dauerte die Folter dann auch nicht mehr. Es wurde uns noch der sehr schicke Präsidentenpalast gezeigt, und dann war Feierabend.

Überfallartig stürmten wir das nahegelegene Café und gönnten uns einen originalen russischen Cappuccino. Der schmeckt hier genau so wie bei uns. Mag aber auch daran gelegen haben, daß wir bei einem Italiener saßen.

Ein Cappu kostete hier übrigens knapp 2,- €. Also ein scheinbar völlig korrekter Preis. Erst später wurde uns klar, daß sich der "normale Kasaner" hier niemals ein solches Getränk leisten könnte. Darum war es da wohl auch so leer.

Zum Vergleich: eine Schachtel Marlboro kostet in Kasan etwa 70 Cent, russische Zigaretten zwischen 30 und 50 Cent. So gesehen war der Cappu also unverschämt teuer.

Und wenn jetzt einer der verehrten Leser dieses Textes glaubt, daß wir schlichtweg über den Tisch gezogen wurden, der soll bitte mal den Rand halten. Denn wir haben sehr schnell rausgefunden, das sämtliche Russen, mit denen wir zu tun hatten nicht nur sehr freundlich (wenn auch etwas reserviert) waren, sondern auch Grundehrlich.

Also nix mit verarschen und über’n Tisch ziehen.

Nach dem Cappuccino machten wir uns langsam auf den Weg zurück Richtung Innenstadt / Hotel. Die Reisegruppe hatte sich inzwischen getrennt. Akki und Olli hatten sich direkt ins Hotel verpieselt. Jan, Micha und ich guckten uns derweil noch ein bißchen die Innenstadt an. Die war schließlich echt schön. Sehr viel Jugendstil und sehr nette kleine Läden. Aber halt auch die üblichen Trend-Modetempel wie wir sie von zu Hause kannten. Offizielle Reebok-, Adidas- und Nike-Stores durften hier also nicht fehlen. Da mussten wir dann natürlich erstmal ganz flott rein und uns nach supergünstigen Angeboten umgucken. Aber Pustekuchen. Die Klamotten waren hier nur unwesentlich günstiger als zu Hause. Ergo: ziemlich teuer. Wir kauften also nix und machten uns davon.

Besonders interessant waren die Angebote in dem kleinen CD-Laden, den wir ein paar Häuser weiter fanden. Hier gab es nämlich fast ausschließlich gebrannte CDs mit kopiertem Cover ohne Booklet o.ä.. Das ganze für sehr wenig Geld. Logisch: in Russland müssen CDs zwangsläufig günstig sein. Mehr als umgerechnet 2 Euro kann hier für Musik keiner ausgeben.

Wir haben dennoch nix gekauft, weil uns von Peter gesagt wurde, daß nie so ganz sicher ist, ob die CDs auch wirklich einwandfrei laufen.

Lieber liefen wir weiter durch die schöne Fußgängerzone und ließen uns von dieser "anderen" Welt berieseln.

Gegen 18 Uhr war Abendessen im Hotel angesetzt. Wir machten uns zurück dort hin und gingen zum Speisesaal. Die Eintracht-Jungs saßen schon brav an den Tischen und warteten auf uns. Meine Fresse, waren die gut erzogen!

Nach dem Essen zogen sich alle in ihre Zimmer zurück (wir auch) und legten die Beine hoch. Beine hochlegen is the law. Vor allem, wenn man den ganzen Tach durch die Gegend flitzen musste. Jan, Micha, Akki, Olli und ich wollten später dann noch eine Kneipe oder einen Club suchen, in dem wir noch was trinken konnten. Gesagt, getan. Gegen 21.30 Uhr machten wir und wieder auf den Weg in die Fußgängerzone und fanden auch recht bald ein nettes Restaurant, in dem wir es uns gemütlich machten.

Das dumme an diesem Restaurant war, daß es hier ausschließlich Hocker zum sitzen gab. Also ohne Rückenlehne. Völlig doof. Hier in Braunschweig gibt es auch so einen Laden, und ich gehe da prinzipiell nicht rein, weil ich auf diesen blöden Hockern immer ganz flott Rückenschmerzen bekomme. Und wer hat die schon gerne?? Gut, es gibt Leute, die sich freiwillig verkloppen lassen und das über alle Maße erquickend finden. Zu denen gehöre ich aber nicht. Ich finde Schmerzen doof.

Außerdem kann man es sich auf diesen Hockern auch überhaupt nicht erlauben, schlecht sitzende Hosen anzuhaben... Es kann nämlich jeder direkt dort hin gucken, wo Hose und Pulli aufeinandertreffen (oder das zumindest tun sollten). Keine sichtschützende Rückenlehne.

Ich hatte eine schlecht sitzende Hose an. Entsprechend unentspannt saß ich also auf meinem Hocker und war ständig dabei, mir am Steißbein rumzutasten, um zu checken, ob eben dieses noch unter Textilien ruht. Tat es. Trotzdem war ich unentspannt. Und mein Rücken begann zu jaulen. Hocker sind echt doof.

Dennoch machten wir uns einen lustigen Abend. Es war zwar recht schwierig. die Getränke zu bestellen, aber die nette Bedienung gab sich viel Mühe. Wir übrigens auch. Wir bekamen also unsere Getränke und genossen den ersten Abend in Russland.

Um 23 Uhr war allerdings schon Feierabend. Ein russischer Polizist kam an unseren Tisch und sagte freundlich ein paar Worte. Wir verstanden natürlich kein einziges davon. Da aber vorher schon das Licht in dem Lokal gedimmt wurde, wussten wir was er wollte.

Wir zahlten also, gingen zurück zum Hotel und in unsere Zimmer. Viel feiern wollten wir nicht mehr. Wir waren müde.

Jan und ich plauderten noch eine Weile und knipsten dann das Licht aus.

Samstag, 11.09.04 / 3. Tag - Der alte Flughafen

Wir sind ja nicht doof. Gar nicht. Obwohl wir Musiker sind. Manche sagen, daß Musiker doof sind. Falsch!!

Für heute morgen 9 Uhr war wieder eine Besichtigungstour angesagt. Und zwar zu irgendeiner 20 km entfernten Kathedrale oder sowas. Da sollten wir alle mitm Bus hingebracht werden. Da wir da aber überhaupt keinen Bock auf eine weitere Qual dieser Art hatten, beschlossen wir kurzum, zu verschlafen. Wir ließen die Fußballer also alleine fahren und pennten ordentlich aus.

Und was machen echte Männer wenn sie lange geschlafen haben und ganz unter sich sind?? Richtig!! Sie gehen zu McDonalds zum frühstücken. Hurra! Wenn unsere Freundinnen dabei gewesen wären, hätten wir uns wahrscheinlich total nervige Vorträge über gesunde Ernährung und andere Unsinnigkeiten anhören dürfen. Aber die waren ja weit weit weg. Also los! Jeder einen BigMäc, einen Kaffee und ein paar ChickenNuggets zum Frühstück. Herrlich!! Damit setzten wir uns vor das Restaurant, genossen das herbstlich-warme sonnige Wetter und aßen. Und tranken. Und sprachen. Miteinander. Und sahen. Aber wie!! Kennt jemand das Gerücht, daß es in Russland unheimlich viele schöne Frauen gibt?? Uns wurde zumindest davon erzählt. Und was soll ich sagen... Es stimmt!!

Obwohl wir unsere Freundinnen wirklich sehr lieben, haben wir doch teilweise nicht schlecht über diese grazilen Wesen gestaunt. Es waren wirklich verdammt viele schöne Frauen in der Stadt unterwegs. So elegant. So kühl. So geheimnisvoll. Ganz anders als bei uns. Das war wohl auch der Reiz. Es war sehr spannend.

Auf diesem Wege möchte ich eine weiteres Gerücht abhandeln:

Nicht wenige Leute "warnten" uns vor den russischen Frauen. Dummes Gesülze wie "die wollen doch alle bloß nach Deutschland" und "die werden euch ohne Ende anbaggern und ihr werdet die nicht wieder los" bekamen wir nicht selten zu hören. Ich habe mich schon vorher über so viel Großkotzigkeit seitens unserer deutschen Mitmenschen aufgeregt. Und ich sollte Recht behalten. Nicht eine einzige russiche Frau baggerte uns auch nur ansatzweise an. Warum auch??

Es gibt durchaus völlig zufriedene, glückliche Russen, die sich in ihrer Heimat genau so wohl fühlen wir es hier in Deutschland tun. Und wenn Kalle Müller sich in seiner miefigen 2-Zimmer-Wohnung über die Vorurteile ärgert, die das Ausland über uns hat, sollte er an den seinigen mal tüchtig anfangen zu arbeiten.

Heute war der Tag, an dem wir schonmal zum alten Kasaner Flughafen fahren wollten, um uns die Location für unser morgiges Konzert anzusehen, und um zu gucken, was uns denn da für Equipment erwartet. Wir sprachen das mit Peter ab, und er sagte uns, daß um 14.30 Uhr ein Wagen für uns vorm Hotel bereit stehen würde.

Nach unserem Frühstück gingen wir zurück ins Hotel, schossen unterwegs dort hin ein paar völlig bescheuerte Bandfotos, machten im Hotel damit weiter und hatten großen Spaß dabei. Das schöne war nämlich, daß Akki seine fette digitale Spiegelreflexkamera und seinen Laptop dabei hatte. Er konnte also knippsen wie ein Weltmeister und es ist natürlich sehr cool und macht verdammt viel Spaß, wenn man so großartige Bilder mit einer solchen Kamera schießen kann.

Bald war es dann auch schon 14.30 Uhr und wir begaben uns runter in die Hotel-Lobby um auf Peter zu warten. Er erschien wie immer absolut pünktlich und wir gingen nach draußen.

Der "Wagen", der uns abholen sollte, war allerdings kein "Wagen", sondern ein ausgewachsener Reisebus. Auch nicht schlecht. Ein ganzer Reisebus für gerade mal 6 Personen. Es muss also auch mal nicht schlecht sein, mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen.

Der Weg zum Flughafen führte uns wieder quer durch Kasan. Und da es um 14.30 Uhr natürlich noch hell ist, konnten wir heute auch zum ersten Mal einen "freien" Blick auf diese 1,2 Millionen-Stadt werfen. Es ging über arg verdreckte Straßen vorbei an vielen baufälligen, teils ruinierten Häusern aus der Zeit des kommunistischen Russlands. Viele Häuser sahen für "unsere" Verhältnisse unbewohnbar aus und der vorlaute Durschnittsdeutsche würde wohl schnell von "Ghetto" oder "Slums" sprechen. Mich erinnerte das hier alles total an mein geliebtes Mexico. Es war hier zwar nicht so warm, aber die Gegend hier strahlte genau so viel einfaches und dennoch stolzes Leben aus, wie es die Nebenstraßen in Puebla taten. Improvisation ist alles und ein kaputtes Fenster muss, wenn das Geld nicht reicht, eben auch mal mit einem Stück Pappe o.ä. repariert werden. Warum auch nicht?

Die Autos knatterten hier mit genau so viel Lärm und Rauch und Hektik an unserem Bus vorbei, und der Fahrer prügelte den Bus ebenso unmenschlich durch die Viertel. Wir waren also nicht nur mit gucken, sondern auch mit festhalten beschäftigt.

Nach etwa zehn Minuten fahrt stoppte der Bus plötzlich. Das lag daran, daß der Busfahrer das veranlasst hatte. Wir waren nämlich am Ziel.

Wir stiegen aus und fanden uns auf einem riesigen leeren Parkplatz wieder. Unser erster Blick fiel auf das imposante alte Flughafengebäude, daß mit seinen mächtigen Säulen und den großen Fenstern eher an ein Rathaus als an einen Flughafen erinnerte. Da der Parkplatz wie gesagt leer war, gingen wir um das Gebäude herum und standen somit quasi direkt am Rollfeld. Große verschlossene Stahltore, diverse Schranken und fragend guckende Flughafenarbeiter in einem Wärterhäuschen machten uns aber schon etwas unsicher. Im übrigen sahen wir hinter den Absperrungen lediglich ein paar kleine Flugzeuge und Hubschrauber. Keine Bühne und auch keinerlei fleißige Handwerker, die die Vorbereitungen für das pompöse Open Air Festival trafen, das hier morgen starten sollte. Wir baten Peter also, die Herren in dem Häuschen mal zu fragen, wo das Festivalgelände denn genau sein sollte. Die Herren wussten das aber auch nicht so genau und schickten uns zurück zu dem leeren Parkplatz. Die Skepsis stieg.

Zurück auf dem Parkplatz kam ein Man auf uns zu und fragte auf Englisch, ob wir die Jungs von Lekker wären. Ich muss an dieser Stelle wohl nicht gesondert erwähnen, daß wir diese Frage mit einem klaren "ja" beantworteten.

Er begrüßte uns freundlich, stellte sich als Sergej vor und sagte, daß er zu dem Veranstalter-Team gehöre. Wir wollten natürlich sofort wissen, wo denn das Festivalgelände wäre. Er zeigte auf den leeren Parkplatz und sagte "hier".

Ich fiel nun komplett vom Glauben ab. Schließlich sollte hier in weniger als 20 Stunden ein Festival mit angeblich 30.000 Besuchern stattfinden, und es war wirklich absolut nix zu sehen. Gar nix. Nur ein leerer Platz von der Größe zweier Fußballfelder. Auf meine Frage hin, wann denn die Bühne und das ganze technische Equipment käme, sagte Sergej nur, daß morgen Mittag garantiert alles fertig wäre. Auch unsere Fragen nach den Verstärkern und dem Schlagzeug für unseren Auftritt wurden mit einem klaren "das wird schon" beantwortet.

Unsere Minen waren nun komplett verzogen. Wir begannen daran zu Zweifeln, daß dieses ganze Event auch nur ansatzweise so bombastisch werden würde, wie es uns im Vorfeld versprochen wurde. Abgesehen davon stellten Micha und ich fest, daß niemals 30.000 Leute auf diesen Platz passen würden. Wir fragten Sergej also nach seiner Einschätzung zu den Besucherzahlen. Er sagte "ca. 2000". Na super. Das war ja bloß eine Differenz von 28.000. Als wir ihm dann die Zahl nannten, die uns genannt wurde, begann er zu lachen und schüttelte den Kopf. Wenig später verabschiedete Sergej sich mit einem fröhlichen "bis morgen".

Nun standen wir also an diesem verlassenen Ort und waren voll und ganz desillusioniert. Außerdem war unser Bus auch schon wieder weg und wir machten uns auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurück zum Hotel zu kommen.

Während Micha, Jan und Akki das alles jetzt doch wieder ganz locker sahen, wollte ich mich von meiner Grummeligkeit gar nicht wieder erholen. Aber ändern konnte ich ja eh nix. Ich musste mich also damit abfinden, daß sich mein Traum von einem Gig vor so unfassbar vielen Menschen nun doch nicht verwirklichen würde.

Nach ein paar Minuten Fußmarsch vom Flughafen weg standen wir nun an der Haltestelle und warteten. Micha, Jan und Akki waren noch immer damit beschäftigt, mich wieder auf Kurs zu bringen. Und mit der Zeit gelang ihnen das auch. Schließlich waren wir in Russland. Und wir würden morgen auf der Bühne definitv alles geben. Denn allzu oft werden wir hier wohl nicht wieder zu einem Gastspiel herkommen dürfen.

Unser Bus kam und wir stiegen ein. Es war dolle eng hier drinnen und wir bekamen leider keine Sitzplätze ab. Wieder tobte der Fahrer wie ein Irrer über die Straßen und wir waren offensichtlich wieder die Einzigen, die das als leicht bedrohlich empfanden.

Nach ein paar Minuten aufkommender Panik waren wir wieder am Hotel.

Nun war aber erstmal Shopping angesagt.

Nachdem wir Geld gewechselt hatten, gingen wir mit Peter wieder in die Fußgängerzone und klapperten die Geschäfte nach einigermaßen netten Souvenirs für uns und unsere Freundinnen ab. So leicht war das aber gar nicht. Nachdem wir anfangs noch das Ziel hatten, ein paar coole T-Shirts mit irgendeiner russichen Aufschrift zu finden, steckten wir unsere Ziele nach unzähligen Fehlanzeigen immer tiefer. In einer Stadt, in der es so gut wie gar keinen Tourismus gibt, ist es nunmal verdammt schwer, ein passendes Stück zu finden. Es kann ja mal einer nach Peine fahren und versuchen, dort ein potentielles Souvenir für einen Russen zu finden. Pustekuchen.

In der Fußgängerzone war also wirklich nix zu finden.

Peter bot uns an, zu einem großen Kaufhaus in einem andern Viertel der Stadt zu gehen. Dort, sagte er, gäbe es bestimmt was. Jan, Akki und ich gingen also mit ihm los. Micha und Olli zogen eine Siesta im Hotel vor.

In diesem Kaufhaus liefen wir wieder ewig lange umher und fanden wieder überhaupt nix Passendes. Tolle Wurst. Also marschierten wir zurück zum Hotel. Den einsetzenden Regen möchte ich hier einfach mal unerwähnt lassen.

Am Ende unserer Tour durch die Stadt starteten wir einen allerletzten Versuch in dem Kaufhaus direkt gegenüber des Hotels. Und wurden fündig. Wie sollte es auch anders sein...

Jan fand tatsächlich ein Shirt für seine Laura (und eins für sich), ich hingegen begnügte mich mit einer Tasse auf der ein Bild des Kreml zu sehen ist. Immerhin. Ich beschloss, daß meine Sonja sich darüber freuen würde.

Langsam wurde es Abend in Kasan. Wir brachten noch schnell unsere Klamotten ins Zimmer um gleich darauf im Hotelrestaurant zum Abendessen anzutreten.
Die Fußballer waren mal wieder vor uns da und schaufelten sich bereits das Essen in ihre sportlichen Münder. Micha und Olli waren auch schon da und schaufelten mit.

Jan, Akki und ich ließen uns nicht lange bitten und setzten mit ein.

Während des Essens kam Peter zu uns an den Tisch und teilte uns mit, daß die Veranstalter des Festivals gleich hier her kommen würden, um mit uns ein paar Dinge für morgen zu besprechen. Wenig später erschienen drei Herren (unter ihnen auch Sergej), setzten sich an einen freien Tisch im Restaurant und warteten auf uns. Wir schaufelten also zu Ende und setzten uns zu ihnen.

Ein denkwürdiger Abend sollte nun beginnen...

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde hielt mir einer der Männer plötzlich die Speisekarte unter die Nase und fragte mich sehr freundlich (und zudem auf Englisch), was ich denn gerne essen würde. Ich war verwirrt, schließlich hatte ich den letzten Happen des Abendessens erst vor wenigen Augenblicken in meinem Magen gejagt. Ich lehnte also höflich ab. Der Mann ließ aber nicht locker und empfahl mir wieder sehr höflich einige Speisen aus der Karte, unter anderem etwas, das Dolmetscher Peter mit "aus Mund von Kuh" übersetzte. Ich verstand und lehnte wiederum ab. Zwar ist Essen eine meiner größten Fähigkeiten, aber wenn ich mir gerade ein opulentes Mahl einverleibt habe, ist auch erstmal gut. Auch Micha, Jan, Akki und Olli wurden nach ihren Essenswünschen gefragt. Und auch sie lehnten ab.

Die Bedienung kam, und die russischen Herren bestellten sich offenbar was.

Das nun beginnende Gespräch war eigentlich genau so ergiebig wie einige Stunden zuvor mit Sergej. Uns wurde versichert, daß alles klappen würde, und das wir uns keine Sorgen machen sollten. Und die Herren strahlten dabei so viel Zuversicht und gute Laune aus, das wir das einfach mal glaubten. Wir hatten ja auch kaum eine andere Wahl.

Plötzlich erschienen zwei Bedienungen am Tisch und ehe wir uns versahen war der Tisch vollgestellt mit großen Wurstplatten, Brot und zwei Flaschen Vodka. Wir waren etwas verunsichert.

Ohne groß zu fragen wurden unsere Gläser (es waren übrigens stinknormale Schnappsgläser) mit dem hochprozentigen Nass gefüllt, anschließend wurde für jeden ein großes Weinglas mit Traubensaft gefüllt und wir wurden parallel dazu aufgefordert zu essen. Nun denn.

Da sitzt man also als armer deutscher Musiker und weiß gar nicht so recht, wie man sich denn nun zu verhalten hat, bzw warum wir denn Traubensaft eingeschenkt bekommen, nach dem wir gar nicht gefragt haben.

Klar war, daß wir nicht unhöflich scheinen wollten. Schließlich waren die drei Herren allesamt überaus nett und sympathisch.

Es sei erwähnt, daß Micha, Jan und ich uns leider überhaupt nicht an deren Namen (bis auf Sergej) erinnern können. Und wir bedauern das ehrlich.

Wir begannen also ein wenig zu essen und schon erhob einer der Herren sein Vodkaglas. Ach Du Scheisse!! Jetzt ist es zweifellos soweit: Wir "müssen" Vodka trinken. Au-weia. Was nun? Ablehnen? Können wir nicht bringen... Auf den Boden schütten? Fällt auf... Plötzlichen Herzstillstand vortäuschen? Nimmt uns keiner ab...

Das Motto hieß folglich: Augen zu (und zwar fest) und durch.

Beim ersten mal tut‘s noch weh. Beim zweiten mal nicht mehr so sehr.

Jan und Micha haben in Sachen Alkoholismus ja etwas mehr Erfahrung. Für mich, der quasi nie Alkohol trinkt, war das schon was anderes.

Das Zeug brannte mir fast die Fresse weg und schmeckte grauenvoll. Ich hielt es demnach für das Beste, den Leuten jetzt schon mal ehrlich zu sagen, daß ich wirklich noch nie sowas getrunken habe. Ich hoffte sie würden ein Einsehen mit mir haben und mir verzeihen, wenn ich keine weiteren dieser Mördergeräte trinken würde.

Inzwischen hatten sich sehr angeregte Gespräche kreuz uns quer über den Tisch entwickelt. Schließlich sprachen sie alle drei ein sehr gutes Englisch. Die Themen waren schnell gefunden: was geht so in Russland / was geht so in Deutschland.

Zwischendurch wurde von Sergej wieder der Vodka nachgeschenkt. "Na", dachte ich mir "einen kannste ja noch".

Micha und Akki begannen ein wenig zu nerven. Schließlich wollten sie unbedingt noch in die Stadt und das Kasaner Nachtleben ausprobieren. Jan und ich hingegen hatten darauf keinen Bock und amüsierten uns sehr gut mit den drei Veranstaltern. Letztendlich zogen Micha und Akki alleine los. Olli war schon längst pennen gegangen.

Die nächsten paar Vodka wurden gekippt.

Ich hatte mich inzwischen meinem Schicksal gefügt: heute würde ich zum ersten Mal in meinem Leben hacke sein. Mir wurde klar, daß ich einen solchen netten Abend mitten in Russland mit so netten Leuten wohl nie wieder erleben würde. Und irgendwann muss man schließlich mal hacke gewesen sein. Attacke!

Der Traubensaft war des Rätsels Lösung! Den trinkt man nämlich direkt nach dem Vodka. Somit wird der fiese Nachgeschmack auf der Stelle gekillt.

Die Gespräche wurden interessanter und inzwischen kamen wir fünf blendend miteinander aus. Wir tauschten uns immer weiter über unsere Heimatländer aus und konnten gegenseitig einige Vorurteile (wenn man das so nennen will) aufklären.

Zwischendurch wurde immer mal wieder ein Happen gegessen und... nun ja... Vodka getrunken. Aber: vor jedem Vodka wurden prinzipiell die Gläser erhoben und ein Trinkspruch zum besten gegeben. Erst dann haben alle zusammen getrunken. Einfach saufen war nicht angesagt. Es hatte schon ein wenig Stil.

Ich merkte langsam, wie mein Blick etwas verschwommener wurde und meine Feinmotorik ließ ebenfalls ein paar Wünsche offen. Aber egal. Den Weg in den vierten Stock zu unserem Zimmer würde ich schon noch hinkriegen. Außerdem funktionierte mein Sprachorgan noch ganz augezeichnet. Alles war gut.

Jan trank natürlich fleißig mit und ich erzählte ihm heimlich von meinen ersten Funktionsstörungen. Ich kannte sowas ja nicht. Er grinste mich aber nur frech an und freute sich offenbar über seinen leicht angeschossenen Bandkollegen.

Nach drei geleerten Vodkaflaschen war die Stimmung großartig. Schließlich waren auch Sergej und seine beiden Kollegen inzwischen reichlich breit. Es wurde nur noch albernes Zeug erzählt und sowohl die drei Russen als auch Jan und ich lachten Tränen.

Um 23 Uhr war dann leider mal wieder Sperrstunde und wir wurden vom Hotelpersonal freundlich gebeten, das Restaurant zu verlassen. Schade. Nun war der Abend also ganz abrupt zu Ende. Blöde Scheisse.

Wir brachten unsere drei russischen Kumpels noch zum Ausgang, verabschiedeten uns, und wussten ja, daß wir sie eh in einigen Stunden am alten Flughafen wiedersehen werden.

Herr Jacobsen und ich taumelten hoch in unser Zimmer und gackerten dabei wie die Hühner. Soll heißen: wir waren furchtbar albern weil besoffen.

Der Weg ins Zimmer dauerte somit etwas länger als sonst. Und die Treppen waren auch irgendwie viel steiler und länger als sonst. Die Treppen?? Japp, die Treppen. Die nutzten wir vorzugsweise, um zu unserer Etage zu kommen. Der sehr alte Fahrstuhl in dem Hotel wirkte nämlich so vertrauenswürdig wie George Dabbelju Bush. Und außerdem hielt er auch kaum sein Versprechen. Wenn man nämlich auf den Knopf mit der 4 drückte (in dem Fahrstuhl, nicht an Herrn Bush) hieß das nicht zwangsläufig, daß man auch im 4. Stock ankam. Manchmal war es auch irgend ein anderer Stock. Und es war auch nicht sicher, daß er exakt an in einer Etage hielt. Bisweilen hielt er auch mal einen halben Meter vorher an und öffnete seine Türen. Eine gewisse Kletterfreude war also stets von Nöten.

Wir trauten dem Kasten vom ersten Tag an nicht und verliebten uns in die Treppe.

Etwas müde und mächtig stolz (weil wir es die Treppe rauf geschafft haben) erreichten wir unser Zimmer. Noch immer wurde infantiles Verhalten zelebriert und wir kamen aus dem Lachen gar nicht wieder raus. Es war herrlich.
Recht schnell (wenn auch etwas unbeholfen) packten wir uns in unsere Betten, erzählten weiterhin unfassbar dämliches Zeug und kamen auch irgendwann zur Ruhe.

Was für ein wunderbarer Abend...

Sonntag, 12.09.04 / 4. Tag - Das Konzert

So richtig ausschlafen konnten wir nicht. Wir waren um 10 Uhr mit Micha und Akki verabredet um noch ein paar letzte Einkäufe zu erledigen. In Kasan haben die Geschäfte nämlich auch Sonntags geöffnet. Gute Sache!

Viel Zeit war nun aber nicht mehr zum einkaufen. Schließlich war heute das Konzert und morgen sollte es schon in aller Frühe zurück nach Deutschland gehen.

Ich hatte beschissen geschlafen und ärgerte mich darüber ein wenig. Dennoch war von einem ordentlichen Kater nix zu spüren. Das freute mich wiederum.

Um 15 Uhr war unser Soundcheck angesetzt. Um 14 Uhr sollten wir abgeholt werden. Wir nutzten also die Zeit, gingen erstmal zusammen mit Peter zu McDonalds und gönnten uns wieder ein BigMäc / Kaffee-Frühstück.

Diesmal konnten wir leider nicht draußen sitzen, da es dort mächtig bewölkt und windig war. Tolle Bedingungen für ein Open Air Festival. Wieder fingen wir an, uns darüber zu unterhalten, wie dieses Festival wohl laufen würde.

Akki wurde schon weit vor unserer Reise erzählt, daß es in Kasan eine gewaltige Pressekampagne über das Gastspiel von Lekker gegeben haben soll. Angeblich wurde das sogar regelmäßig im russischen Fernsehen angekündigt. Ferner hieß es, daß "Kenny" hier ständig auf sämtlichen Radiosendern liefe, und daß auch in den Zeitungen einige dicke Artikel über uns erschienen seien. Gesehen haben wir natürlich nichts davon. Aber das muss ja nix heißen. Tilo versicherte uns jedenfalls schon bei unserer Ankunft, daß die Werbung super war, und daß es ein ganz ganz fettes Event werden würde. Daran glaubten wir nach der gestrigen Aktion zwar nicht mehr, wollten uns dennoch gerne überraschen lassen. Aber wir rechneten vorsichtshalber mit dem Schlimmsten.

Nach dem Frühstück gingen Jan, Micha und ich noch ein letztes Mal durch die hübsche Innenstadt und überbrückten die Zeit bis zur Abfahrt zum Festival.

Diese Innenstadt war wirklich verdammt schön. Vor allem fiel uns schon am Freitag auf, wie unglaublich sauber es hier war. Die gesamte Fußgängerzone war wie geleckt. Keine Zigarettenkippen, kein Müll, nix. Heute sahen wir, woran das lag. Eine vierköpfige Putzkolonne huschte unermüdlich durch die Gegend und räumte / fegte sofort jeden Unrat weg...

Noch ein Sache war hier ganz anders als zu Hause: in der gesamten Fußgängerzone hingen kleine Lautsprecher an den Häusern und beschallten die Menschen mit Musik aus dem Radio. Man bekam seinen persönlichen Gute-Laune-Soundtrack zum Einkaufsbummel geboten. Absolut gratis. Was will man mehr?

Wir fanden das lustig und swingten zu George Michaels "Faith" an den Läden entlang.

Jan und ich kauften uns noch schnell je eine Stange Kippen und eine Flasche von dem Vodka, der es uns gestern so prächtig besorgt hatte, und dann wurde es auch schon langsam Zeit die Sachen für die Show zu packen.

Wir flitzen noch schnell ins Hotel, griffen uns unsere Klampfen und begaben uns schon wieder runter in die Lobby. Dort wartete natürlich schon wieder unser Peter auf uns und wir gingen zur Straße. Ein grüner Mercedes "Sprinter" mit schwarzen getönten Scheiben stand hier bereit und sollte uns zum alten Flughafen fahren. Holla die Waldfee!! So ein Sprinter ist hier in Deutschland nun wirklich nix besonderes, aber in Kasan ist er das allemal. Und nun wurden wir also mit einem solchen Gerät zum Konzert chauffiert. Schön!

Der Fahrer fuhr einen anderen Weg als der Fahrer von gestern, aber das war uns nun völlig egal. Es guckte auch kaum noch jemand von aus dem Fenster um die Gegend zu betrachten. In unseren Köpfen war nur dieser eine Gedanke: was erwartet uns jetzt??

Micha war der einzige, der recht optimistisch war, und versuchte, uns von seinem Optimismus ein paar Scheiben abzugeben. Das war zwar sehr lieb von ihm, brachte aber (zumindest bei mir) leider nicht viel.

Nun fuhr der Sprinter auf den Parkplatz des alten Flughafens und wir hörten schon eine russische Band bei ihrem Soundcheck. Wenige Augenblicke später sahen wir endlich auch die Bühne und ich konnte nicht fassen, was ich da sah:

Wo gestern noch gähnende Leere herrschte, stand nun tatsächlich eine verdammt schicke große Bühne! Hurra! Mit einem Schlag waren alle Zweifel vergessen und wir alle saßen breit grinsend in dem Sprinter, der nun direkt neben die Bühne rollte.

Als wir ausstiegen, hörten wir, daß die Band, die da oben gerade am checken war, auch noch einen verdammt guten Sound hatte. Yes!! Das machte wirklich alles einen verdammt guten Eindruck. Das breite Grinsen wollte mein Gesicht gar nicht mehr verlassen. Es war einfach nur schön!!

Von weitem erspähte ich einen der Jungs, mit denen wir gestern noch so herrlich gefeiert hatten. Mit einem "ich-hab’s-dir-doch-gesagt"-Grinsen kam er auf mich zu. Wir begrüßten uns herzlich und ich hatte große Mühe, meiner Freude über diese tolle Bühne entsprechenden Ausdruck zu verleihen.

Wir stellten unsere Sachen in den Backstagebereich, sahen uns die Band an, die gerade auf der Bühne war und beobachteten das Treiben auf dem Parkplatz.

Nicht wenige Polizisten hatten sich schon auf dem Platz versammelt und hatten offenbar gerade eine Einsatzbesprechung. Uns war fast schon klar, daß das hier alles wohl etwas strenger abgehen würde, als wir es von zu Hause kennen.

Kurz bevor wir zum Soundcheck auf die Bühne durften, ging eine Polizistin mit Drogenhund auf die Bühne und ließ ihren Waldi ordentlich schnuppern. Ich fand das sehr bizarr. Außerdem habe ich mich gefragt, was wohl passiert wäre, wenn sie was gefunden hätte. Aber es wurde natürlich nichts gefunden.

Nun durften wir endlich zum Soundcheck auf die Bühne.

Tatsächlich hatte man auch ein paar ordentliche Verstärker und ein gutes Schlagzeug für uns besorgt. Nun war also endgültig alles absolut wunderbar.

Der Soundcheck war kurz und knackig. Der Sound war brilliant und fett. Keine weiteren Fragen unsererseits. Alles super. Danke.

Nun hatten wir also noch etwas Zeit bis zum Beginn unserer Show. Leider gab es keine Garderobe o.ä. für uns, wo wir uns hätten hinsetzen können. Also hockten wir uns auf eine Mauervorsprung am Flughafengebäude uns genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Inzwischen hatten sich nämlich sämtliche Wolken verzogen und der Himmel strahlte wieder hellblau über der Stadt.

Ich fand es etwas schade, daß es keine Garderobe o.ä. gab, also fragte ich einen unserer Saufbrüder einfach mal, ob denn sowas wie eine Garderobe für uns zur Verfügung stünde. Die Antwort war: "Klar, kein Problem". Er zückte sein Handy, telefonierte und sagte mir dann, daß wir in 30 Minuten unsere Garderobe bekommen würden. Ich bedankte mich brav, und ging zurück zu den Anderen. Nach gerade mal 20 Minuten kam plötzlich ein Reisebus auf den Platz gefahren, und parkte direkt neben der Bühne. Wir guckten uns fragend an und wollten nicht wirklich glauben, daß das unsere Garderobe sein sollte. Das wäre ja nun auch etwas arg übertrieben. Ein ganzer Reisebus für drei Personen zum Umziehen. Nee nee. Lange Rede, kurzer Sinn: es war tatsächlich unsere alleinige Garderobe. Hossa.

Wir bezogen also unser Quartier und taten das, was man immer vor Konzerten tut. Sich langweilen. Und warten.

Und auf Toilette müssen. Jan und ich hatten dieses Problem, schauten uns suchend nach Möglichkeiten zum ungestörten Urinieren um und fanden - vier (!! in Zahlen: 4 !!) Dixieartige Plasteschränke, jeweils an den vier Ecken des Festivalgeländes postiert und natürlich mit langen Warteschlangen davor.
Wir schilderten Sergej unser Problem und fragten, ob man sich in Russland einfach an den Baum stellen dürfe, um sein Bedürfnis zu stillen, Wasser zu lassen, wie auch immer. Er verneinte dies, ging stattdessen mit uns zum nächstgelegenen Plastekasten und forderte die Warteschlange höflich aber bestimmt auf, uns, die Künstler, vorzulassen. Dieser Bitte kamen die jungen Russ(inn)en gern nach. Sind halt nette Menschen.

Nach wenigen Minuten war das mit dem Warten aber schon vorbei, denn Akki kam in den Bus und sagte, daß wir ein Interview für eine Zeitung geben sollten. Wir baten den Interviewer also herein und, riefen Peter zu uns. Sonst konnten wir ja jar nüscht verstehen. Das Interview war recht nett. Der sichtlich nervöse Interviewer fragte uns nach unseren Eindrücken von Russland, nach unserer Eindrücken von Kasan, nach Russischen Bands, nach der Jugend in Deutschland, nach unseren Texten, nach Rammstein, nach Clubs in Berlin... Moment... Warum denn nach Clubs in Berlin?? Komische Frage... Konnten wir nicht beantworten. Dann wollte er noch wissen, ob House-Musik in Berlin angesagt ist. Konnten wir auch nicht beantworten. Schließlich kommen wir bekanntlich nicht aus Berlin und von House kriegen wir Ohrentumore.

Nach ein paar Minuten war das Interview beendet. Gerade hatte der Interviewer den Bus verlassen, kam Akki wieder an und sagte "Fernsehinterview!". Ach was... Fernsehen?? Na, gerne doch!! Wir stiegen aus dem Bus uns gingen ein kleines Stück Richtung Rollfeld. Da war es etwas ruhiger. Schließlich hatte die erste der 6 russischen Bands des heutigen Abends bereits ihren Gig begonnen und der Platz vor der Bühne wurde langsam voll.

Das Fernsehteam erwartete uns schon. Wir brachten uns und Peter in Position und legten los. Im Groben waren es die selben Fragen wie beim ersten Interview. Und Peter war wieder fleißig am übersetzen. Das machte Spaß.

 

Kaum war auch dieses Interview beendet, winkte einer der Veranstalter uns von weitem zu sich hin. Bei ihm wartete bereits die nächste Interviewerin. Ein sehr nettes Mädchen von einem Musikmagazin. Also: Interview Nummer 3!

So langsam bekamen wir eine Ahnung davon, was hier los war. Offenbar war die Werbung für unseren Gig wirklich sehr gewaltig, und offenbar hielt uns hier jeder für die absoluten Stars aus Deutschland. Du liebe Güte!! Wer konnte das ahnen?

Aber schlimm war das natürlich nicht...

Während Interview Nr. 3 fiel mir ein Mann auf, der mir komischerweise verdammt bekannt vorkam. Das wunderte mich. Woher sollte ich hier in Russland bitte jemanden kennen? Aber ich war mir sicher, das ich den Mann schonmal irgendwo gesehen habe... Neugierig, wie ich nunmal bin, ging ich direkt nach dem Interview zu ihm und sagte sowas lockeres wie: "Und wer sind sie nochmal?". Die Antwort war knapp und erniedrigend zugleich: "Ich bin der Botschafter". Oh-weh. Das war also der Mann, der uns Freitag früh am Flughafen begrüßt hatte. Wie peinlich. Der Herr Botschafter war aber verdammt nett und erinnerte äußerlich eher an einen Lehrer als an einen Diplomaten. Wir quatschten also noch eine Weile, und dann musste ich leider weg. Zum nächsten Interview mit dem nächsten Fernsehsender. Da muss man auch den Botschafter mal stehen lassen. Er war aber nicht sauer deswegen.

So, genug der Interviews, es wurde langsam dunkler, unser Auftritt näherte sich bedrohlich, Zeit für etwas gepflegte Nervosität.
Die Band, die direkt vor uns spielte, war sehr klasse, der Mob am Ausrasten und mitsingen und abfeiern. Danach WIR, die keiner kannte und die zudem in einer dem durchschnittlichen Kasaner recht unverständlichen Sprache sangen - was würde passieren?
Nach der Umbaupause ging ein Kasaner Radio-DJ auf die Bühne und moderierte uns an. Keine Ahnung, was er den Leuten erzählt hat, aber es schien gut gewesen zu sein. Wir wurden mit einem Applaus begrüßt, als wären wir die absoluten Oberstars!
Die Begrüßung war aber nicht alles, was die Kasaner zu bieten hatten, nein, wir wurden das ganze Konzert lang frenetisch gefeiert.

Die Kommunikation mit dem Publikum funktionierte perfekt, zumal wir pünktlich zur Show endlich "Spassibo" sagen konnten (was soviel heißt wie "danke"). Micha hatte sogar noch ein paar Bröckchen Russisch aus den tiefsten Winkeln seines Gehirns gekramt, die vom jahrelangen Unterricht hängen geblieben waren, und überraschte Jan und mich mit einem nahezu perfekt ausgesprochenen "Je Samij Michail" - Ich heiße Michael. Auch sein Englisch wuchs über sich hinaus - "Beautiful Girls in Kasan" - "We go, then Rammstein come".
 
Irgendwann waren wir mit unserem Programm am Ende und verließen die Bretter, die bestimmten Menschen manchmal, in bestimmten Momenten, wirklich die Welt bedeuten (die Bühne bestand übrigens wirklich aus Brettern, das so ganz nebenbei erwähnt).

Natürlich forderte der Mob eine Zugabe, es folgte eine kurze Besprechung mit dem Veranstalter, der sich noch eine kleine Überraschung hatte einfallen lassen. Jan sagte mir hinterher, er hätte die genaue Zeitplanung mitbekommen, ich, der in der ersten Reihe stand, dummerweise nicht :
Ungefähr in der Mitte des letzten Songs wurde ein Feuerwerk gezündet. Direkt vor meiner Nase. Hab' mich ganz schön verjagt, das kann ich Euch aber sagen!
 
 


Naja, Schwamm drüber.

Hinter der Bühne wurde wir dann noch von einer Abordnung des Kasaner Goethe-Instituts empfangen, konnten uns aber nicht mit ihr beschäftigen, weil wir noch haufenweise Autogramme zu geben hatten. Pech. Fans gehen nun mal vor.

 

Gegen 22 Uhr oder so war der Spuk vorbei. In der Dreiviertelstunde, die wir Zettel, T-Shirts, Arme und wasweißichnochalles signierend verbracht hatten, hatte sich der Platz geleert, die Bühne war auch schon weg, alles sah so aus, als hätte hier nie etwas stattgefunden.
Der Bus, der uns eben noch als Garderobe gedient hatte, sollte uns jetzt ins Hotel fahren. Das tat er auch, aber WIE! Als wäre er allein in einem Formel1-Mobil, trat der Mann hinterm Steuer ins Gas, die Insassen schleuderten nur so hin und her wie schwerelos in Zeitraffer. Dafür waren wir aber sehr schnell da.
Unser Plan war ursprünglich, nur einen kurzen Absacker im Cafe auf der anderen Straßenseite zu trinken und dann in die Betten zu fallen, schließlich mussten wir am nächsten Morgen um Halb sechs am Flughafen sein. Aus diesem Plan wurde nichts, und keiner von uns bedauerte das. Stattdessen trafen wir Sergej und feierten wieder die halbe Nacht.
Am nächsten Morgen, der eigentlich noch Nacht war, musste ich Jan begreiflich machen, daß er nun aufstehen müsse, weil es Zeit sei, zum Flughafen zu fahren. Ich weiß nicht, ob er das in dem Moment wirklich begriff, oder mir einfach hinterdrein trottete.
Am Flughafen gaben wir unsere letzten Rubel für Kaffee und Schokolade aus. Letztere war schon seit einem halben Jahr abgelaufen und wurde beim nächsten Halloween an eine marodierende Kinderbande weiterverschenkt.
 

So, das war also unser kleiner Aufenthalt in einer fernen Stadt namens Kasan im nicht minder fernen Russland.
Danke für alles, Kasan, es war schön bei Euch!
 
Hab euch lieb,
Euer FLO

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